menschen treffend: friedrich

„Gerne Termin geben! Kann mir kleine Unterstützung sehr wohl vorstellen! Werde aber keinesfalls der Neidgenossenschaft Vorschub leisten und mir schon gar nicht vorschreiben lassen wem, wo, wie und warum wir fördern!“ Noch schnell, zwischen zwei Terminen, schickte Friedrich diesen Kurzbrief als Mail ab. Eigentlich hätte das eine interne Notiz sein sollen (ablesbar auch daran, dass Friedrich sie nur mit seinem Vornamen zeichnete), Friedrich sendete sie aber an jene unfähigen Häuselbauer, die gerne ein Luftschloss errichten würden und dafür auch noch einiges an Unterstützung haben wollen. Unabsichtlich, ein großes Versehen, ein grobes auf jeden Fall. Rufzeichen sind Anzeichen, zeigen hier einen unguten Befehlston an, den man Friedrich so gar nicht zugetraut hätte. Viel zu beherrscht tritt er normalerweise auf, als jemand, der eher verbindet als trennt – so ist er zumindest angetreten. Aber nun ist er schon einige Jahre im Amt, vielleicht ist dies auch nur Ausdruck einer gewissen Müdigkeit. Die Zeit frisst bekanntlich am Gemüt, wie der Stress, man kann sich ja nicht um alles kümmern, müsste aber und will eigentlich auch. Dazu gehört auch, dass man Entscheidungen trifft, auch die unangenehmen, den Weg weist und auf diesem Pfad kann man es natürlich nicht jedem Recht machen. Und was sind schon Vorgaben und Kriterien? Was sind schon Gesetze?  – Auch nur ein Spielraum, den man leichtfüßig dehnen kann. Man hat einfach mit so viel Problematiken zu tun, mit soviel problematischen Interessensgruppen und irgendjemand ist letztlich immer unzufrieden. Alle wollen immer nur haben, haben, haben. Die wenigsten wollen geben, das ist auf die Dauer auch frustrierend, damit muss man klarkommen. Friedrich nimmt den Frust auf sich, ohne mit der Wimper zu zucken, dafür steht er mit seinem Namen. Er hält die Gemeinde zusammen.

Klar, ist es oft schwierig die Balance zu halten. Ausgleich findet Friedrich aber in seiner Familie, der Natur, beim Spaziergang, in den kleinen täglichen Ruheinseln, die nur ihm gehören. Friedrich ist eigentlich ein ruhiger Charakter. Bedächtig und sanft legt er die Hände zusammen, wenn er öffentlich spricht, er wirkt geerdet und ruhig, nur selten löst er sich aus dieser eleganten Haltung, höchstens um sich schnell und gekonnt seine Brille zu richten, die aber meist, genauso wie sein Anzug, eigentlich perfekt sitzt. Ein wenig steif wirke er manchmal, spaßbefreit, lustfeindlich auch, zumindest würden ihm das seine Kritiker unterstellen, wenn sie gehört würden. 

Er ist vor ein paar Monaten angetreten um alles zu verändern, anders zu machen, wieder besser zu machen. Vieles konnte er, ausgewogen oberflächlich, einlösen. Allerhand, was so eine frische Corporate Identity alles schafft. Das Miteinander wollte er fördern, politisch wie auch am Wirtshaustisch, wahrscheinlich ist ihm das tatsächlich gelungen, oder auch dies wird zumindest sehr gut verkauft. 

Friedrich trifft man am Brauchtumsfest genauso wie bei Kulturveranstaltungen. Die Regel ist: Drei Besuche im Altersheim oder einer Sozialeinrichtung, zwei Besuche bei einer Traditionsveranstaltung, ein Besuch bei einer Lesung, zum Beispiel. Dafür, dass sein Ort eher überschaubar ist, gibt es doch ständig was zu besuchen. Und Friedrich taucht auf, oft auch unangekündigt – das ergibt gesamt ein gutes Bild. Ein wenig Understatement, aber auch das ist ein Statement, nämlich dass man es nicht mehr nötig hat, sich zu behaupten. Alle wissen, wo die Macht sitzt und die hat einen fitten Körper und ein aufgeräumtes Gesicht und das gehört nunmal Friedrich. 

Er steht zu seinem Wort, auch das eine Qualität, da steht er dann an seinem eigens angeschafften Plexiglas-Pult und verkündet, sogar im Livestream, direkt aus dem Rathaus; auch wenn man sagen könnte, das sei reichlich aufgeblasen für so ein Provinznest. Sein Wort hat Gewicht und wird auch über die Grenzen seiner Provinzgemeinde nicht nur gehört sondern, so wird es zumindest wahrgenommen, auch beachtet.

Friedrich verkörpert Hoffnung und hat definitiv Strahlkraft, aber nach dem letzten Bürgermeister wäre wohl jeder als Lichtgestalt wahrgenommen worden. Seine Gemeinde war bis zu seinem Amtsantritt ja nur noch als Skandalort bekannt, Veruntreuung von Geldern aus der Stadtkasse, überhöhte Spesenabrechnungen, undsoweiter und dann noch Versuche Kritiker mundtot zu machen. 

Gerade deswegen wäre es ja so enttäuschend, wenn sich Friedrich mit seinem Missgeschick auch in einen Skandal verstrickt hätte, denn wenn man sich die Worte auf der Zunge zergehen lässt, die Friedrich in völliger Unachtsamkeit, die ihm normalerweise nicht unterkommt, ausgekommen sind, ist es zumindest ein kleiner …, ein Skandälchen, wenn man es genau betrachten würde.  

Man könnte sagen, er benehme sich wie ein König oder Kaiser, der gnädig nach seinem Gutdünken die Gelder an die Untertanen verteile. Man würde ihm unterstellen, auch er bediene doch nur jene, die ihm nahe stehen, die er von früher kenne, mit denen er dann und wann mal auch privat zusammenkomme. Nichts Außergewöhnliches in dieser Gegend zwar, man ist sich halt doch so nah. Gewisse Naheverhältnisse können nicht ganz vermieden, schon gar nicht ausgeschlossen werden. Geht einfach nicht, geht einfach nicht anders. Man würde sich darüber lustig machen, dass ein „Freundschaft!“ aus seinem Mund tatsächlich nur einen Wert habe, nämlich den der Förderhöhe. Und das wäre natürlich nicht nur unlustig sondern auch unrichtig. Da würde man ihn tatsächlich völlig falsch einschätzen, denn so sei er nicht, so sei er wirklich nicht. Es sind nur die Nerven und die Anspannung und manchmal, nur sehr selten, verliert Friedrich eben seine eigene Beherrschung.

Und Friedrich hat nicht unrecht: Die Neidgenossenschaft, die um sich greifende, der geifernde Zusammenschluss der Unbefriedigten wird immer größer und es wird noch soweit kommen, dass sie zur nächsten Wahl antritt. Und das darf nicht passieren, deswegen checkt Friedrich nun immer mehrmals, bevor er eine Mail abschickt, nämlich wem er, wann, wo, wie und warum schreibt. Auch über den Inhalt will er in Zukunft ein zweites Mal nachdenken. Gut so. 

menschen treffend: josef

„Deitsch“, so spreche man hier in diesem Land, das sei die Sprache, die man verstehe und die unsere Kultur präge, geprägt habe und immer prägen werde. „Herrgott, schau oba.“, denkt sich Josef. 

Heute wird wieder mal diskutiert im Dorfgasthaus, heute gibt es erneut einen Anlass dazu. „Einer von den Slowenen“ habe gefordert, dass als zweite Landessprache „slowenisch“ festgeschrieben werden solle. Das stand in der Zeitung, die jetzt noch aufgeklappt am Wirtshaustisch liegt. Ausgerechnet im Jubiläumsjahr kämen „die Slowenen“ wieder damit „daher“. Wobei das natürlich auch für Josef einleuchtet, dass „die Slowenen“ ihre Chance wittern und natürlich versuchen das 100-Jahr-Jubiläum der Abstimmung zum Verbleib bei Österreich zu nutzen, vielmehr noch: zu instrumentalisieren. Das wird „den Slowenen“ natürlich nicht gelingen. „Diese Hund!“ 

Es reicht, es reicht, es reicht!, seit Jahrzehnten gehe das so, es reicht „den Slowenen“ offensichtlich nie. „De Tschuschn unta uns“ 

Die große Angst, die am Wirtshaustisch herrscht, ist, dass man jetzt nicht nur einen „Slowenenversteher“ und „Slowenenfreund“ als Landeshauptmann habe, sondern einen, der „woarscheinlich sölba ana von denen is“. Wer weiß, denkt sich nicht nur Josef, wenn jetzt tatsächlich all die Forderungen erfüllt würden. Seit der letzte richtige Landeshauptmann, nein, Landesvater, der wirklich jedem und jeder und allem in diesem Land die Hand geschüttelt habe, auf tragische Weise ums Leben kommen musste, ist alles möglich. Jetzt gäbe es niemanden mehr, der dem ganzen „Minderheitenblödsinn“ abschwöre, der sich dagegen stelle, wie der Landeshauptmann, der sowohl im weißen Anzug wie auch im braunen Kärntner-Anzug, der im Landtag wie auch auf der Straße immer eine gute Figur gemacht habe, und mit hoher Wahrscheinlichkeit ermordet worden war. Je nach Blickwinkel entweder vom Mossad oder von den Freimaurern oder von … Josef glaubt eher, es waren „die Mächtigen“, die ihn einfach weghaben wollten, denen er im Weg stand, weil er der Letzte war, der sich noch dagegenstellte. Gut in Erinnerung ist Josef noch, wie der Landeshauptmann, der „Londesvota“, persönlich anrückte, um Ortstafeln zu verrücken, ganz friedlich und rechtskonform natürlich. Geklatscht hatte Josef damals, als er die Bilder im Fernsehen sah, diese ikonischen Bilder mit dieser Ikone der treuen Patrioten, deren Herz für ihr Land schlägt. Eine Mehrheit habe damals geklatscht, so hat es Josef in Erinnerung, die meisten fanden es gut, alle haben zugesehen. Warum wohl, stellt Josef fest, weil das eben alle guthießen. Gibt ohnehin kaum noch welche von denen, werden immer weniger, stellt Josef fest, weil sie ja selber merken, dass sie ihr „slowenisch“ nicht brauchen. „Za wos?!“ Für was denn überhaupt, wenn sie sowieso deutsch sprechen. 

Schimpf und Schande brächten „die Slowenen“ über das Land, ständig nichts als Unruhe wollen sie stiften, seit Jahrzehnten, nur Forderungen könnten sie aufstellen und immer wieder neue Ortstafeln. Man habe mehrmals den kleinen Finger hingestreckt und trotzdem wäre nach der ganzen Hand gegriffen worden. So ist das in Josefs Erinnerung, er habe das ja alles miterlebt, immerhin sei er – seit diesem Jahr in Pension – ja auch schon 65. 

Man erinnere sich, dass sich vor hundert Jahren eine Mehrheit der lokalen Bevölkerung für den Verbleib bei Österreich entschieden hat, eine Mehrheit, die nur überwiegen konnte, weil auch zweisprachige Kärntner und Kärntnerinnen für diese Aufteilung und eben nicht Abspaltung votiert haben. Man erinnere sich, dass kaum ein Jahrzehnt nach dem zweiten Weltkrieg im Staatsvertrag die Minderheiten-Rechte festgeschrieben wurden, welche der slowenischsprachigen Bevölkerung in Kärnten Sprache wie Kultur zugesichert hatten. Man erinnere sich, dass diese in Artikel 7 des Staatsvertrags von 1955 festgeschriebenen Rechte auch fünfzig Jahre später noch nicht garantiert werden konnten. Josef erinnert sich nicht. Josef erinnert sich nicht oder erinnert sich anders. 

Er kenne sie, „die Slowenen“, nicht aus seinem Ort, wo es sicher kein Slowene lebe, sondern von dort, wo man etwas tiefer in sein Kärntner Land gefahren sei. Dort sitze man im Gasthaus und sei der Feind, da würde man auffallen. Spürbar sei die Ablehnung gegen jene, die nicht slowenischsprachig sind. Da würde dann auf windisch oder slowenisch oder einem Kauderwelsch getuschelt und geschimpft. Und obwohl Josef nicht versteht, was da gesagt wird, ist er sich sicher, dass dies genau so sei. Unfreundlichkeit, Ablehnung. Eine aufgeheizte und angespannte Stimmung nehme man wahr. Er erinnert sich an mehrere Begebenheiten, die er fast als bedrohlich wahrgenommen habe. „Ongst“ und Unwohlsein beschleiche ihn und naturgemäß ein Misstrauen. Diese dauernde Unzufriedenheit von der Gegenseite, in den Gesichtern eingeschrieben, verbittert, kampfesbereit. Wem es hier nicht passe, könne ja sofort abhauen, zurück über die Grenze, wo sie hingehören, „diese Slowenen“, es kämen sowieso immer mehr Ausländer („A noch de Moslems“). Und wohin führe das? – Naturgemäß zur Umvolkung, aber das will man vielleicht auch. Fremd im eigenen Land, so fühlt sich Josef. „Hetz glab is owa gach. Wir san in unsam eignen Lond bold die Auslända.“

Es sei ja schon ein Zeichen, denkt sich Josef, dass an der Schule seiner Enkelin slowenisch als Freigegenstand angeboten würde, wie er letztens erfahren habe, soweit seien wir schon. „Sicha nit“ 

Josef sieht auch gar nicht ein, warum man überhaupt eine andere Sprache lernen sollte („Za wos?!“), habe er auch noch nie gebraucht, nicht beim Ausflug über die Grenze nach Italien zum Pizzaessen und nicht mal im Urlaub – in Lignano oder Bibione. Die können alle deutsch, also wieso solle er es lernen. Ein paar Wörter kann Josef natürlich schon: „Ciao“ zum Beispiel, „Uno – Duo – Tre“ aufzählen und „Birra“ sowie „Pivo“ rufen, und „Cevapcici“ und, da muss Josef etwas überlegen, sogar „Dober dan“.