menschen treffend: alex

Und dann ist er einfach weg und mit ihm die Möglichkeit sich jemals wieder zu sehen. Was für eine Dimension, dieses „nie mehr“. Und es geht aber in Gedanken gar nicht darum, was „nie mehr“ möglich sein wird, sondern es geht nur darum, was man nie gemacht hat. Und man hat was verpasst und das ist nicht mehr herstellbar. Und der Verlust heißt nun eigentlich etwas, das man nie hatte. Und man denkt, wäre man doch die eine Stunde länger geblieben. Hätte man sich doch den Moment mehr Zeit gelassen, wäre nicht weggehetzt. Es wäre möglich gewesen, aber nicht nur Distanz trennt, sondern auch Termine. Wäre man doch zurückgekehrt, hätte man sich doch bloß umgedreht und gesagt: „Ach, was. Bleiben wir doch noch zusammen.“ Du hättest es angeboten gehabt, nicht nur einmal, noch etwas zu essen oder zu trinken. Die Einladung war wie die Verabschiedung herzlich, wie es auch schon die Begrüßung war. Offene Arme im offenen Haus. Hier herrscht die Gedankenfreiheit mit der Kunstfreiheit. Alex hat was geschaffen und eingeladen daran Teil zu nehmen, hat einen Ort erfunden, der mehr als das war, und ihn geöffnet. Und er hat Bilder geschaffen und hat immer schon Räume geschaffen, in die man sich reindenken konnte. Und dann ist er in einem völlig unglaublichen Zustand.
Und dann liegt er einfach nur noch da. Und man steht und versteht es nicht. Und die Bilder reihen sich aneinander und selbst da entstehen neue Bilder. Und ich frage mich, habe ich jemals „Dankeschön“ gesagt und formuliere „Entschuldigung“. Und eigentlich weiß man gar nicht, was man sagen sollte und was man noch sagen kann. Und weiß nur, was man nicht gesagt hat. Und weiß nicht, ob er wusste, wie man ihn schätzte, wie sehr ich ihn schätzte, wie oder ob da zwischen uns nur die Auseinandersetzungen blieben von zwei Menschen, die eigentlich etwas Ähnliches wollten und auf ihre Art kämpften. Wir hätten uns öfter treffen sollen und weiß, dass daraus viel entstanden wäre. Noch mindestens ein Bier hätte es sein müssen, in einem Raum, den Alex geöffnet hat. Aber das ist schon nicht mehr denkbar.
Und man erinnert sich zurück an die ersten Begegnungen mit Alex, wie er in einem Moment hinter der Bar und im nächsten schon auf der Bühne stand und nur kurz darauf mit dem Hammer in der Hand mit dem Bau einer riesigen Bretterwand beschäftigt war. Das war er, und noch viel mehr. Da war das Lachen und das Lächeln und die Art des Sprechens, das ein Denken wie auch ein Bedenken zeigte. „Sanft“ fällt mir ein und „bedacht“ und dass Axel immer schon einen Schritt weiter war, wenn man ihn traf.
Man wird Alex nicht gerecht, wenn man ihn treffend und abschließend darstellen soll. Doch viele bemühen sich darum und das ist Teil der Beschreibung. Und viele können es, weil er sie einander vorgestellt hat. Es bleibt mehr als die Erinnerung daran.

menschen treffend: michael

„Schon wieder Faschismus! Schon wieder Faschismus!“ schreit Michael laut in die Welt. Schon wieder diese Wut. Michael wirkt fast aggressiv und das ist etwas, das er so gar nicht an sich mag, so ist er eigentlich nicht. So ist er nicht. Denkt er. Sein hagerer Körperbau, das sanfte Lächeln, der Pferdeschwanz, der seine blonden Haare zusammenhält, die wehende Kleidung, die ihn umhüllt, sein ganzes Erscheinungsbild zeigt das. Es gibt Menschen, mit denen er sich auch metaphysisch verbunden fühlt, die in ihm und seiner Softheit (You know, die feminine Seite) eher eine Art Jesusfigur sehen. Naturverbunden, open-minded, aufnahmefähig für das Spirituelle, das alle Lebewesen umgibt. Das war nicht immer so, er war ein schwieriger Jugendlicher, starker Kiffer, gewalttätig, aber mit seiner Vergangenheit hat er sich ebenso versöhnt wie mit allen, die er verletzt hat. Das liegt hinter ihm und vor ihm liegt nur offen das totale Jetzt, in dem er in jeden neuen Tag hineinlebt. 
Michael ist übrigens Musiker, das heißt, er verdient seinen Lebensunterhalt – er braucht ja nicht viel – mit seiner Musik, seinem Instrument, der Querflöte, oder mit Trommel-Workshops, die er an seinem geerbten Bauernhof in sommerlichen Vollmondnächten beim Lagerfeuer gibt. Äußerst privilegiert, dass er sein Leben so leben kann. 
Michael steht übrigens am Heldenplatz, 5.000 Menschen waren bei der Demonstration angekündigt, von den üblichen Verdächtigen, also den Mainstream-Medien, aber es sind sicher mehr, wahrscheinlich 30.000, die Veranstalter sprechen schon von 100.000, auf jeden Fall sehr viele. Und Michael wollte sich das mal anschauen, ist dafür – und um seine Freunde wieder zu treffen – extra aus Kärnten angereist, und ist mittlerweile schon mittendrin, in dieser schönen Vielfalt von Menschen. Ein erhebendes Zusammenkommen von Individuen, die die Dinge ähnlich sehen, wie er, Michael, man kann ruhig „Du“ sagen. Und schon ist er Teil dieser vielen Menschen, die für ihre Freiheit auf die Strasse gehen, es geht gegen die Maßnahmen der Regierung, die mit Zwang sein Leben einschränken wollen, also mit Kontaktbeschränkungen und der Verpflichtung sich zu impfen. Maulkörbe soll man ständig anlegen, nicht anderes sind diese FFP2-Masken. Das geht zu weit. Es herrscht nämlich, laut Michael, nicht die Pandemie, sondern eine Unkultur, die bald in Faschismus abzugleiten droht. Es geht nicht darum „Wellen“ zu brechen, sondern die Menschen an sich, davon ist Michael überzeugt. Dagegen wird versammelt und marschiert, an diesem schönen Samstag, die Sonne zeigt sich, wie ein Zeichen. 
In der ersten Reihe stehen die Rechtsextremen, aber Michael hat sich davon schnell distanziert, er läuft ein paar hundert Meter weiter hinten mit seinem Schild auf dem einfach nur „Come Together“ steht, Beatles-Zitat, aber so so passend, gerade in unserer Zeit. Das Schild zeigt, dass er sich doch etwas vorbereitet hat. Auf seiner Jacke prangt ein Davidstern mit dem Schriftzug „ungeimpft“,  hat er vorhin von einem freundlichen Mitvierziger geschenkt bekommen, auch wenn er das in dieser Kombination nicht ganz gutheißt, trägt er ihn doch aus Solidarität für die Opfer des nationalsozialistischen Regimes, das soviele Opfer forderte. Und geht den Weg mit, über die Ringstraße Richtung zweiter Bezirk. Und Michael hat seine Trommel dabei, für die Stimmung, für den Spirit, damit man sich gemeinsam einschwingen kann auf diesem wichtigen Weg. Ganz klar und offen und demokratisch natürlich gegen die totalitären Maßnahmen einer Marionetten-Regierung, die längst schon von woanders gelenkt wird. 
Als er von einem Reporter angesprochen wird, lächelt er freundlich in die Kamera. „Wer weiß das schon? Weißt du es? Man hört ja einiges, wenn man auf den richtigen Kanälen unterwegs ist. Ich würde mich nicht festlegen wollen, ob es die Bilderberger, die Freimaurer oder eine andere Elite ist. Ich weiß nur, die Liebe wird siegen, denn wir sind viele.“ 
Das wird natürlich nicht gesendet werden, sowas kommt in den Mainstream-Medien nicht vor. Die Infos, die er hat, erfährt man nur unter der Hand, in der Hand, in den richtigen Channels am Smartphone, im Internet. Da liest man, dass die Impfung eben nicht wirkt und schützt,  von den ganzen Schäden, die diese Impfung anrichtet („Menschen sterben täglich“), ganz logisch, dass die ganzen Folgen noch gar nicht absehbar sind. Ganz ehrlich, Michael sieht all das, was gerade abgeht, repressive Verunsicherung, davon lässt er sich nicht unterdrücken, lieber ist er achtsam, primär sich gegenüber und seiner Umwelt. Michael hat gelernt, dass es unglaublich wichtig ist, auf sich zu schauen, erst von sich kann man ausgehen zu etwas Größerem. Das wirkt. Michael war schon lange nicht mehr krank, zumindest kann er sich nicht daran erinnern, seit er seine Ernährung vollständig vegan gestaltet, auf viel Sonnenlicht und Bewegung setzt und man glaubt gar nicht, wie befreiend und heilend es sein kann, barfuß herumzulaufen, direkt den Kontakt zum Boden zu spüren. Auch dadurch härtet man ab, ganz natürlich. Michael braucht keine Medikamente, auch Globuli nur ganz selten. Wenn es einen doch mal erwischt, sollte man es ausschwitzen, das hilft. Die inneren Kräfte gegen die äußeren aktivieren. „Wenn der Wirt stark ist, hat der Gast keine Chance“ hört man Michael sagen, das gilt auch für einen Virus. Was ist schon ein Virus? Wir sind ja ständig von Viren, von Bakterien und Krankheiten umgeben, das ist alles Teil des kosmischen Organismus, der uns alle verbindet. Eine große gemeinsame Energie, die ihren Ausgleich sucht, wie wie wie … Michael sucht nach dem passenden Bild. Die offiziellen Zahlen sind natürlich zu bezweifeln. Man darf nicht alles glauben, glaubt Michael zutiefst. 
Das alte Wissen gibt ihm Sicherheit. Was die Leute nicht kapieren, ist, dass die Natur immer ihren heilenden Weg findet, sich gegen die Gefahren der Umwelt zu wehren. Nicht umsonst haben die Menschen ein Immunsystem. Und das will trainiert werden. Es geht um die Impfung, natürlich geht es um die Impfung, ein anderes Thema gibt es gerade nicht zu diskutieren, gerade weil jetzt auch noch eine Verpflichtung eingeführt werden soll, sich impfen zu lassen. Mit einem Wirkstoff, der nicht nur unerprobt ist sondern auch tief in den menschlichen Körper, seine DNA eingreift. Wer weiß, wo das hinführt, denkt sich Michael, ob dies nicht der Anfang eines großen Experiments ist, an dessen Ende eine Reduktion der Menschheit oder ein tiefer Eingriff ins Bewußtsein der menschlichen Erscheinungen steht. Doch die Masse tausender Andersdenkender, die wie er anders denken, sind auch eine Chance zur Transformation in eine neue auratische Bewußtseinsstufe. 
„Liebe“, einfach nur „Liebe“ schreit er impulsiv laut aus, spürt er und umarmt den Punk, der am Rand die Kundgebung beobachtet und sich in dem Moment wohl nur „FUCKING HIPPIES“ denkt, während er Michael von sich wegstößt. Trotz all der Liebe will sich keine Verbindung herstellen, aber das kümmert ihn Michael nicht, er dreht sich um, reiht sich wieder ein, in die Demonstration und stimmt munter ein, in diesen Chor, der jetzt skandiert: „Heil. Heil! Heilung!“

menschen treffend: werner

Schon die Einladung war eine Frechheit, die Werner innerlich rasend machte, noch viel mehr, weil er sich nicht dagegen wehren konnte, sie auch anzunehmen, was ihm nicht nur unverständlich war sondern ihn nur noch viel tosender machte.
Wie ein Geist entstieg Werner schließlich dem Zug, der ihn in diese Eisenbahner-Stadt geführt hatte, durchschritt das völlig nichtssagende und auf minimale Verweildauer ausgerichtete kalte Gebäude des Bahnhofs und trat, durch und durch widerwillig eigentlich, auf den Vorplatz, der von Bushaltestellen dominiert wurde … Und von einem, nicht in Stein gemeißelten aber doch in Bronze gegossenen Schaffner als eine Art Skulptur. Solchen unsinnigen Frechheiten der Stadtgestaltung sollte er in Folge noch öfters begegnen, wenn ihm dann Braumeister, Narren und Feuerwehrmänner in den Weg gestellt wurden,  im Versuch von den Prioritäten dieser Stadt, die eigentlich immer noch ein Dorf sein sollte, zu künden. 
Es ist eine lachhafte, eine lächerliche Stadt, war es schon immer. Eine Stadt als dauerhafter schlechter Witz über den nur die zurückgebliebenen, die nie ausgewanderten, die nur selten und dann nur nach Tarvis oder Udine oder höchstens Lignano ausreisenden EinwohnerInnen dieser Stadt noch lachen können, weil sie lachen wollen, weil es in dieser Stadt, die das Lachen schon im Namen trägt, ein streng verordnetes Lachgebot gibt. Werner fand das noch nie witzig, nichts von all dem, was hier traditionell sich verankert hat.  
Diese Stadt ist nur für Menschen erträglich, die nicht mehr als einen Gedanken zu verschwenden in der Lage sind, oder für jene, die nur zu Besuch sind. Wirklich leben kann man hier nicht. Es fehlt am Konzept. Lei-Lei-Leider. Diese Stadt ist nur besoffen erträglich,  was vielleicht auch den überdurchschnittlich hohen Bierkonsum unter den BewohnerInnen erklärt, fügte sich als Satz in die Gedanken von Werner ein, und dass dieser Satz gleichzeitig Übertreibung wie auch Untertreibung war. 
Kaum ein paar Schritte gegangen, schwierige erste Schritte, nachdem Werner schon so lange keinen Fuß mehr in die Strassen dieser Stadt gesetzt hatte, nie mehr setzen wollte, hatte sich Werner selbstredend auch ein erstes Bier geholt. Dann erst ging es weiter. Wo war er? Ach, hier, immer noch hier, in dieser Stadt. 
Wenn man vom Bahnhof geradewegs durch die Innenstadt spaziert, durch die Strassen, über die Brücke, den sogenannten Hauptplatz hinauf, die Befreiungsstrasse entlang und am Gymnasium vorbei bis in den Stadtpark wandert, wird man auf seinem Weg keinerlei Kunst finden. Sämtliche Kunst wurde aus dem Stadtbild entfernt oder nie installiert. Diese Stadt ist bekannt dafür, schon viele renommierte Künstler auf die Müllhalde geschmissen zu haben. Hier werden Künstler vor den Kopf gestoßen, bis sie sich schließlich durch Flucht retten bevor sie umkommen, um nicht mehr wiederzukehren. 
Werner war einer von ihnen und stand nun völlig unverständlich für sich selbst mitten in dieser Stadt. Wie konnte das nur passieren? Vielleicht eine Revanche. Werner hatte sich überreden lassen von der charmanten Einladung eines kunstinteressierten, begeisterten Geistlichen, der ihn zu einer Lesung gebeten hatte. Werner musste zugeben, dass es allein das Geld war, das ihn lockte, das er dringend brauchte. Eigentlich ein Sündenfall, ausgerechnet deswegen wieder in diese Stadt ohne Kultur und vor allem vor sich einzubrechen. Sich wieder diesem nicht nur scheinbaren sondern völlig offensichtlichen Kulturverständnis einer verkerkerten Bildungsanstalt auszuliefern, war ein Graus, der Werner durchfuhr. In dieser Stadt findet Kultur im Keller statt, dorthin ist sie verband als ungeschriebenes Gesetz, während das Kulturamt wiederum im Schloss residiert und sich aufspielt. Im Schloss wird die Kultur dirigiert, wie von jemanden, der vorm Schlafengehen mit seiner Zahnbürste ein fiktives Orchester in Aufruhr versetzt. Spiele, Spiele, Gastspiele spielen sich hier ab, Spielereien, die aus dem Katalog ausgesucht wurden, wie billige Unterwäsche beim Versandhändler.  Beamtenmentalität statt Genialität. Völlige Inspirationslosigkeit. Oftmalige Tatenlosigkeit. Gähnender Stillstand, zum Leerstand, der in dieser Stadt ohnehin allgegenwärtig ist. 
Ich darf mich nicht aufregen, dachte sich Werner, man darf sich nicht immer aufregen, erregen lassen vom Unbedeutenden, vielmehr muss man den Blick ab- und dorthin wenden, wo tatsächlich noch was passiert, überall nur nicht hier. Wahrscheinlich auch eine Übertreibung, aber Werner wollte doch nichts beschönigen. Schon gar nicht, dass  diese Stadt einmal im Jahr, in der Werner nun schon vielzuviele Schritte gegangen war, zum Rummelplatz gemacht wird, der die ganze Stadt einnimmt und alles in in Bierseligkeit überschwemmt. Ein Taumel, eine Taumelei. Eine Stadt als einziger Marketinggag. Das ist ihr Kapital, eine angeheiterter Trachtenkitsch, der zu den Blumen und Schmetterlingen und Bilderrahmen, die den Blick nach oben mit Plunder verstellen, passt. Jajaja, klar, Werbeversessenheit aber Geschichtsvergessenheit, hier, wo das Gedenken in Seitengassen abgeschoben wurde, wo es seither im Regen stehengelassen wird. 
Oberfläche, Oberfläche und nichts darunter, dachte sich Werner, zubetoniert und zugepflastert, Plätze, die aus Grabsteinen bestehen. Dem größten Philosophen der Stadt, ein Philosoph von Weltrang, von Bedeutung, hat man den kleinsten Platz gewidmet, der nicht mal ein Platz ist. Respektlosigkeit. Respektlosigkeiten, wohin man auch schaut. Auch Werner wurde aus Verlegenheit eine Strasse gewidmet, irgendwo auf einem Feld, auf dem eine Baukasten-Einfamilienhaus-Siedlung errichtet wurde, eine Erschließungsstrasse, er hat sie noch nicht gesehen, er könnte es nicht ertragen. Und seine Strasse, die kleine Strasse, in der er aufgewachsen war, trägt immer noch den Namen eines Nazi-Dichters. Werner merkte, er hatte immer noch eine Rechnung offen, seine Abrechnung mit den Zuständen in dieser Stadt ist noch nicht abgeschlossen. Schreibt sich „Grenzenlos“ auf die Fahnen und blickt nicht über den eigenen Tellerrand, notierte sich Werner, völlig kleinlich und kleingeistig alles. Das furchtbarste Klima, das man – trotz Südlage – überhaupt haben kann, stinkend und verlogen – und als er das noch dachte, war er schon dort angekommen, wo er in zwei Stunden für eine handvoll Kulturinteressierte lesen sollte, was er auch brav vollzog und dann sich, Salamibrote ausschlagend aber nach ein paar Bier, wieder aus dem Staub machte, aus dem ganzen Dreck floh, der ständig wieder neu aufgeputzt wird. Dann war Werner weg, danach war er endgültig weg, für immer. Er ist wohl mit der Welt zerfallen, aber war zeitlebens in seiner Raserei schwer aufzuhalten. 

menschen treffend: tom

„Hallo, Hallo, Heyho“ spricht Tom beschwingt in die Kamera ( € 1.298,-), die auf einem Stativ (€ 99,-) mit verdrehbaren, krakenartigen Armen ein Ringlicht (€ 68,-), neben einem Mikrofon (€ 298,-) vor seinem Schreibtisch (Vintage, Ikea) befestigt ist. Es ist Zeit wieder ein Video zu machen, Content zu generieren, seinen Followern wieder Material zu liefern. Der Dreh ist noch das Einfachste, schnell gemacht (Eine routinierte Stunde inklusive Einrichtung und Pausen), etwas länger dauert dann der Schnitt, der schon sehr exakt sein muss, Signation hinzufügen, rausrendern, hochladen und dann die Verlinkung der Sponsoren und natürlich die Beschreibung copypasten, die er schon vorbereitet hat. Letzlich vergehen damit Stunden, regelmäßig, also alle paar Tage, denn schließlich muss er irgendwie ständig was abliefern. Das ist schon auch ein Druck, Teaser posten, damit die Leute dranbleiben, zwischendurch seine Timeline durchscrollen, zurückkommentieren, Kommentare liken. Das geht auch zwischendurch, neben dem Frühstück, beim Warten in Wartezimmern, ständig. Wenn Tom wartet, dann hat er sein Handy in der Hand und arbeitet eigentlich, während andere nur anstehen oder ein Game zum Zeitvertreib spielen. 
In guten Monaten sind es um die 900 Euro, die er mit dieser Arbeit verdient, es gab auch schon Monate in denen es mehr und welche in denen es weniger waren. Läuft stabil, würde Tom sagen, sagt er auch, wenn man ihn fragt, und „Heyho, was geht?!“
Zum liken, zum herzen, zum kommentieren, zum reposten – dafür macht Tom seinen Content. Und sein Content ist Technik, also die neuestes Technik am Markt, die er vor der Kamera auspackt, in die Kamera hält und dann ausführlich reviewed. Damit geht er auch seiner Leidenschaft nach, denn seit er denken kann, ist er fasziniert von technischen Geräten, umso mehr, seit die Entwicklungen immer schneller und beeindruckender vor sich gehen.
Ja, damit kann man Geld verdienen. Regelmäßig bekommt Tom verwunderte Reaktionen, wenn er preisgibt, wie er sein Leben bezahlt – beziehungsweise all die Dinge, die er sich leistet. Aber es gibt weitaus abstrusere Inhalte, mit denen man sein Einkommen bestreiten kann. Menschen leben davon Sachen zu verkaufen, die es gar nicht gibt. Man stelle sich mal vor, man würde als Wunderheiler oder Pfarrer seinen Lebensunterhalt bestreiten. Leute verarschen und dafür auch noch ein asketisches Leben in Kauf nehmen, das wär nichts für Tom. Dann doch lieber diese ganze Technik, die zumindest für eine gewisse Zeit up to date ist, mitverkaufen, Spielzeuge, die, wenn auch nicht immer ausgereift, doch irgendwie geil sind. 
Sieht von außen nicht wie Arbeit aus, aber letztlich ist es harte Arbeit, unter dem ständigen Druck seine Follower zu halten, die Klickzahlen zu halten, weiter von den Unternehmen wahrgenommen, als Tester in Programme aufgenommen und als Influencer ernstgenommen zu werden. Dahin hat er sich hochgearbeitet. Tom kann sich noch an die Zeit vor zwei Jahren erinnern, als er sich ständig die neuesten Smartphones gekauft und sich zeitweise auch verschuldet hat, aber gleichzeitig auch seinen Account auf youtube eröffnet hat, der nach einem Jahr so erfolgreich war, dass die Firmen auf ihn zukamen und ihm das ganze Spielzeug gratis geschickt haben. Ja, es ist verrückt. In seiner Wohnung stapeln sich Verpackungen und Technik, die eigentlich noch gar nicht alt ist, aber zu den neuesten Entwicklungen mittlerweile ganz schön alt aussieht. Manches muss er auch zurückschicken, anderes verkauft er auch. 
Aber wenn Tom auf diese dutzenden ansprechenden Schachteln schaut und die Post schon wieder neue Sachen bringt, dann gibt es den Moment, wo er auch eine Langeweile spürt, wo die Innovationen nicht mehr so großartig scheinen und er erschlagen oder gesättigt von dem ganzen Zeugs ist.  
Aber es macht natürlich schon auch Spaß und ist abwechslungsreich, also es könnte schlimmer sein, sagt Tom sich, denn so fühlt es sich für Tom auch an, etwas stressig, viel Druck, aber dann auch ganz viel fun und Freiheit. Das wollte Tom so oder so ähnlich immer schon haben, einen vierzig Stunden Job in engen Grenzen und exakten Dienstzeiten war für ihn nie vorstellbar. Tom kann sich also nicht beklagen, will er auch nicht. Alles gut, alles chillig. 
Und Tom bringt vor der Kamera natürlich immer das nötige Maß an Begeisterung auf, die alles weltbewegend erscheinen lässt. My reaction, sagt Tom am Ende, muss Tom sagen, denn das ist seine USP, und dann zeigt Tom den Daumen nach oben oder unten. Und darauf warten seine Follower, weil sie seine Meinung schätzen oder seine als eine von vielen schätzen. Und was er noch sagen muss, ist: „Aber zuerst mal einen großen Dank an den Sponsor dieser Folge. Non-toxic, nachhaltig und very reliable. Besser könnt ihr euer Phone nicht schützen.“ Das bringt ihm pro Wort ungefähr € 10,- und dafür, dass er auch immer wieder neue Clips macht, in denen er die Smartphone-Hülle von ****** in die Kamera hält, gibt es nochmal  € 150,- extra. „Und bevor wir uns jetzt ansehen, ob sich dieses Upgrade lohnt, lasst mir doch ein like da und abonniert meinen Kanal.“ Das Upgrade lohnt sich eigentlich immer, noch nie hat Tom irgendein Produkt, dass er in die Kamera gehalten hat, in schlechtem Licht präsentiert, also zuviel Negatives darüber gesagt, stets wirkte er gehypt. Nur einmal gab es ein Smartphone mit zwei Displays aber völlig veralteter Software und schlechten Kameras, das auch noch völlig überteuert war, das hat er dann allerdings schlichtweg nicht rezensiert und wieder zurück an den Hersteller bzw die Agentur geschickt, von der er bestückt wurde.  
Alles auf seinem Channel ist irgendwie ein Erfolg und super, muss es sein. Doch nichts von dem, was er in die Kamera hält, ist sein Produkt. Er ist das Produkt und er verkauft vor allem sich selbst. Als Marke. Und deren Kurs steigt noch immer, vielleicht kann er bald schon noch besser davon leben. 
Dass dies nicht ewig so weitergehen kann, ist auch Tom bewusst. Er hat sich fest vorgenommen, ab nächstem Jahr nun aber wirklich mit seinem Studium weiterzumachen. Nur im Moment fehlt ihm einfach die Zeit, es gilt doch immer was zu tun und als One-Man-Show kann er sich gerade auch nichts freischaufeln, nicht mal seine Freunde sieht er regelmäßig. Dafür wird er schon erkannt, trifft schon Fans auf der Straße, oder zumindest Leute, die ihn kennen und ansprechen. Meist bitten sie um ein Selfie und eine Verlinkung auf ihren Channel, die Meisten sind mittlerweile selbst Influencer. 

menschen treffend: sabine

Da war durchaus Stolz – und Entschlossenheit – als Sabine in die Partei eintrat, nachdem sie die Partei irgendwie immer schon am sympathischsten fand und die kommunizierten Ziele der Partei erstens zeitgemäß und zweitens sehr integer. Heute vermeidet sie zu erwähnen, dass sie tatsächlich Parteimitglied ist – Sabine weiß selber nicht, wie lange noch.

Während sie gerade für eine der Verantwortlichen in der Partei klatscht und lächelt, denkt sie innerlich eher daran, jetzt gleich die Bühne zu stürmen und zu schreien, dass ihre Partei, seit sie in der Regierung ist, nichts Anderes gemacht hat, als Schritt für Schritt so ziemlich all ihre Ideale zu verraten. Sie schaut sich um, wahrscheinlich geht es anderen gerade ähnlich, die nur sehr unmotiviert in ihre Hände klatschen oder irgendwas in ihr Handy tippen. Warum springt niemand auf? Manche quatschen mit ihren SitznachbarInnen, andere schauen gelangweilt als die nächste Rednerin zum Pult geht. Sogar Leute, die auf der Seite am Podium sitzen, wirken desillusioniert und antriebslos und in manchen Momenten abgestoßen, von der Partei oder auch von sich. Das nennt man dann wohl Realpolitik, worin alle in diesem Raum angekommen sind. 

Letztlich läuft es in Sabines Partei gleich wie in allen Parteien. Klare Strukturen, vielleicht mit Verantwortlichen, die etwas öfters nachfragen, ob alles okay ist, aber dann auch so entscheiden, wie sie es für richtig empfinden. Und dann gibt es Parteitage, die vielleicht tatsächlich anders laufen, wie bei anderen Parteien, aber auch dort wird die Euphorie geschürt und auf einen Kurs eingeschworen, sodass man letztlich etwas hirngewaschen für die Parteilinie stimmt. Parteilinie ist immer, was der Partei nützt, also in Verantwortung zu sein, egal ob im Gemeinderat, Landesregierungen oder im Parlament, weiters: im Parlament zu bleiben, vielleicht sogar in der Regierung. Also geht es um Macht und Machterhalt, Ausbau der Macht und so der Möglichkeiten. Und das ist eben ein zweischneidiges Schwert, ein äußerst scharfes. Denn natürlich muss man in Verantwortung sein, um tatsächlich etwas zu verändern und das geht demokratisch eben nur, wenn man auch tatsächlich politische Macht und so Handlungsspielraum hat, aber es geht eben auch nur mit Kompromissen und als in Relation eher kleine Partei mit überschaubarer Wahrscheinlichkeit, dass sich dies in diesem Land jemals ändern wird, muss man eben große Kompromisse eingehen und vieles mittragen, was eigentlich untragbar ist. 

Man muss Zugeständnisse machen, diesen Satz kann Sabine nicht mehr hören, es gehe hier nunmal um etwas Größeres und wenn das nicht wir machen, steht sofort eine andere Partei parat, die noch viel mehr, die noch unredlicher, die sicher nicht so korrekt wären. 

Sabine denkt daran, dass die letzte Vorsitzende zu einem Glücksspielkonzern gewechselt ist, bevor dieser in den letzten Jahren im Mittelpunkt eines Korruptionsskandals stand. Das war entweder ein großer ausgestreckter Mittelfinger der Vorsitzenden ihrer Partei gegenüber, der noch deutlicher nur gewesen wäre, wenn sie bei einem Ölkonzern angeheuert hätte, oder es war schlichtweg eine opportunity, die sich im Laufe ihrer politischen Laufgang zufällig ergab, obwohl die Partei damals noch in Opposition war. Tja, wer weiß, vieles bekommt man an der Basis einfach nicht so mit. Aber man bekommt mit, dass man jetzt nicht nur von WählerInnen der anderen Parteien schief angeschaut und beschimpft wird, sondern durchaus auch von den bisherigen oder potentiellen WählerInnen der eigenen Partei. Die Stimmungslage, würde Sabine mal ganz basic feststellen, ist beschissen, wenn sie sich umsieht, wenn sie sich umhört. Das könnte bei der nächsten Wahl wieder einige Stimmen kosten. Eine der prominenteren Parteimitglieder hat erst letzte Woche ihre Mitgliedschaft – aus Gründen – zurückgelegt, andere äußern sich lautstark kritisch, gerne auch medial. 

Obwohl Sabine fest an die Zukunft ihrer Partei glaubt, weil sie wohl die einzige ist, die sich ernsthaft dem Umwelt- und Klima- und Tierschutz widmet, dazu noch den Menschen- und Frauenrechten und der Gleichberechtigung gesamtgesellschaftlich, also Themen, die nicht nur in der Gegenwart sondern auch für die Zukunft wichtig sind, gibt es nunmal auch bei ihr die Zweifel, wie man das alles so im System umsetzen soll. Oftmals musste die Partei in Regierungsverantwortung nun schon für Tierleid, gegen Gleichberechtigung, gegen Umweltschutz und vor allem gegen einen humanen Umgang mit Schutzsuchenden mitverantwortlich entscheiden. 

Die durchaus erfolgreichen Anfänge hatte ihre Partei ja außerhalb des Systems. Die Partei-SeniorInnen von heute waren teilweise mal engagierte DemonstrantInnen, die durchaus auch eine gewisse Radikalität ausstrahlten – dann wurden sie bürgerlich und waren nur noch daran zu erkennen, dass sie oft mit dem Fahrrad statt mit dem Auto fuhren, dass sie sich am Wochenende gerne in Trommelseminare verirrten, außergewöhnliches Getreide verkochten, dass sie natürlich Bio einkauften, bevor es trendy war. Das ist etwas polemisch, wie Sabine weiß, aber im wahren Kern noch so ein Ding, dass Sabine mittlerweile auf die Nerven geht, denn wer kann es sich – scheiße nochmal! – leisten, seine ganze Ernährung biologisch und fair getradet und sein Leben generell nachhaltig zu gestalten. Sabine nicht, noch nicht, und das macht ihr natürlich auch ein wirklich schlechtes Gewissen. Was sie nicht haben müsste, weil niemand außer ihr selbst ihr ein schlechtes Gewissen macht, aber weil sie in der Partei ist, hat sie es nunmal doch, weil sie in dieser speziellen Partei ist und … wahrscheinlich gibt es gar keine Lösung dafür. 

Sabine hat sich dabei erwischt, wie sie einfach Karton und Pet-Flaschen in den Hausmüll geworfen hat, als eine Form des Protests (gegen einen überkorrekten Lebensstil), allerdings einer, den niemand mitbekommt. Zugegeben plagte Sabine sofort, genau, das schlechte Gewissen und sie hat natürlich alles wieder aus dem Restmüll rausgefischt und in die korrekten Säcke und Tonnen gegeben. 

Scheiß Partei!, denkt sich Sabine, Scheiß Partei wie jede Partei! Was aber so auch nicht stimmt, wenn sie sich erlaubt, unemotional darüber nachzudenken. Und dann grübelt Sabine vor sich hin, dass sie vor dem gleichen beschissenen Problem in der Partei steht, vor dem die Partei in der Regierung steht. Lässt man die Regierungskoalition fallen, lässt man damit auch sämtliches Mitbestimmungsrecht und die Chance zur Veränderung fallen. Es ändert sich letztlich an der gesellschaftlichen Gesamtsituation nichts, irgendwie geht es weiter, wahrscheinlich noch schlechter, denn selbst den kleinsten Einfluss hätte man verwirkt. Dann hilft wirklich nur noch protestieren…. geringfügig. Steigt Sabine nun aus der Partei aus, ändert das auch nichts, es geht weiter, nur Sabine hätte die Chance verwirkt (zumindest im kleinen) etwas zu einer, in ihren Augen, guten Veränderung beizutragen. Scheiß Dilemma. Scheiß Politik.