menschen treffend: ivan

Vielleicht ein guter Zeitpunkt um zurück zu blicken, denke ich, schwebend in einem dieser freien Momente, die es zu wiederholen gilt. Vielleicht ist das Glück, frage ich mich, oder das, was man sich darunter vorstellt, kurz bevor man stirbt. Das wäre eine Vorhersehung. Vor einem selbst ausgestellt, distanziert von der Welt, die sich gerade selbst isoliert. Nur selten eine Joy Division. 

Die elektrische Zahnbürste dreht ihre Kreise, vibriert vor sich hin, da ist ein Schmerz, hinten rechts, Oberkiefer. Dieser Zahn könnte sich lösen. Und hängt da nicht sogar schon ein Stück Haut?  Fading away. Im Schminkspiegel, unwirklich vergrößert, schaue ich in einen Mund. Das ist sicher Blut, was nun ins Waschbecken gespuckt wird. Vielleicht nur eine Häutung, wahrscheinlich war sie überfällig. Es könnte ein neuer Zustand, ein neues Bewußtsein folgen, so genau weiß ich es nicht, und eigentlich glaube ich auch nicht daran.  There´s Blood on the dancefloor, aber es ist eigentlich nur ein Badezimmer. 

So alt bin ich eigentlich noch gar nicht, wie ich mich fühle, in den Momenten, in denen ich das überhaupt kann. 

Ich komme mir oft so jung vor, als ob die Jahrzehnte, die ich überlebt habe, nur Jahre gewesen wären. So much older then I´m younger than that now.

Das, was da mir Spiegel im entgegentritt, hat eigentlich gar nichts mit mir zu tun. Ein beschränkter Mund, die undefinierte Frisur, die müden Augen, die leere Augen, der grimmige Ausdruck als Eindruck insgesamt.  So könnte ich geworden sein, ist einfach passiert in dem, was man noch Leben nennt. Was habe ich übersehen? 

Ich habe gelernt mit Messer und Gabel zu essen und höflich zu sein, zu anderen. Und habe es dann doch oft vergessen, griff einfach zu. 

Ich habe gesehen, dass dies ein Prinzip dieser Welt ist, das ich hasse. Da ist soviel, was ich an mir hasse, was sich nicht gut anfühlt. Ich dürfte mir vielleicht auch das angelernt haben. Aber man kann auch verlernen, sich etwas wieder abtrainieren, aber das ist dann die Anstrengung, das braucht Zeit. Time is on my side. Vielleicht ein Trost.

Ich lerne Gitarre zu spielen, ich lerne geduldig zu sein, ich lerne zu verzeihen, neben vielem Anderen. Vielleicht habe ich es auch das meiste schon gelernt, außer 3 gerade Akkorde anzustimmen. Ich kann immer noch nicht singen. Auch habe ich noch kein einziges Lied geschrieben. 

Ich denke an die vielen Vorbilder, an die Künstlerinnen, die mit Tönen oder Sätzen, die mit Normen und Formen gespielt haben. Ich denke daran, was sie geschaffen und hinterlassen haben. Ich denke daran, dass viele in meinem Alter schon tot waren. Etwas in dieser Größe schaffen, überhaupt noch etwas schaffen. 

Oft kommt dieser Gedanke und dann geht es doch weiter. Man kann ja nicht stillstehen, ich zumindest nicht. Man muss immer weiter durchbrechen, höre ich in mir, wiederkehrend, und wie Dirk von Lowtzow das singt, bezeichnenderweise auf einem Track von Egoexpress. 

Man blickt zu oft auf andere Menschen, eigentlich ständig, und zu selten auf sich. Verliert sich schnell selbst aus den Augen, auch wenn man sich eben auch in den anderen erblickt. Das sollte ich mir aufschreiben, denke ich, das hätte ich schon zu einem früheren Zeitpunkt notieren sollen. Ich habe wahrscheinlich wieder einen Moment zu lange gezögert. Morgen würde ich es lesen und darüber nachdenken. Vielleicht nur ein banaler Gedanke, nicht viel mehr als ein Traum, dem man eine hohe Bedeutung zuschreibt und letztlich doch nicht wirklich aufregend ist. 

Ich erinnere mich daran, dass ich nichts richtig erinnere. Und ich frage mich, was mit mir nicht stimmt und auch weiter mit meiner Wahrnehmung nicht. Vielleicht sehe ich alles falsch, vielleicht empfinde ich nicht richtig. Unabhängig davon, ob falsch und richtig so überhaupt existieren; Begrifflichkeiten. Was ist schon eine psychische Störung, wenn das, was als normal gilt, so völlig von allem entfremdet ist, was eigentlich sein sollte. Wie es eigentlich laufen sollte … Der Lauf der Welt ist ein anderer. In den müsste man eingreifen, da ist sie wieder die Wut. Nein, es ist nicht das vage „Welt“ gegen die sie sich richtet. Zu fest angedrückt, das rote Licht auf meiner elektrischen Zahnbürste leuchtet auf. 

Die andrängenden Bilder machen ein Augenschließen unmöglich. Die endlose Addition und Akkumulation, eine Wucherung. Da ist soviel, was man wissen will und nicht vergessen kann. Don´t look back. Soviel Unerlebtes und Unausgesprochenes. 

Ich habe bemerkt, dass meine Wahrheit nicht unbedingt stimmig ist, weil der Nächste Vieles schon anders sieht. Ich merke, ich kann immer nur von mir ausgehen. Und darin, frage mich, kann man sich nicht anders ausdrücken als absolut? Das müsste ich jetzt laut aussprechen, sonst bleibt es unverständlich, auch für mich. Aber will ich so spät das Bild einer gewissen awkwardness verstärken, auch wenn die potentiellen Zeuginnen wohl schon schlafen? So bleibt vieles ungesagt, auch ohne Zahnbürste im Mund. Und schon wieder vergessen, übersehen. Wieder nicht festgehalten. Manchmal fehlen mir die Worte, auch solche, die ich schonmal gehabt habe. 

Ich weiß, dass die Sprache begrenzt ist. Ich genieße es aber auch, wenn sich das Schweigen einstellt. Wie jetzt die Stille, als das schönste Geräusch ohne Laut. Lautstärke, denke ich, ist eine seltsame Wortkreation. Ich habe bemerkt, dass sich das durchsetzte, was am lautesten geschrien wurde. Dass man am besten damit durchkommt, einfach etwas zu behaupten, anstatt, tja, echt zu sein. Aber was ist das schon, wer weiß das schon. Manchmal ich selbst nicht. Wer bin ich eigentlich?

Ich merke, wie wirr meine Gedanken sind, wie ungeordnet. Zahnseide vergessen, verdammt.  Ich sollte noch meine Todo-Liste durchgehen, vielleicht was abhaken und ergänzen. Das Katzenklo müsste wieder mal gemacht werden. Warum liegt das Handtuch am Boden? Und was löst das – zum Teufel! – schon wieder in mir aus?! Can I scream?

Ich darf nicht böse sein, wenn Menschen sich falsch verhalten, höre ich mich, in mir, mir vorsagend. Man kann nicht alles steuern, man kann nicht alles überblicken und eventuell steuern. Zwei Wörter sollte ich überhaupt vermeiden, nämlich „böse“ und „falsch“, daran erinnere ich mich selbst, leider meist erst, wenn ich sie ausgesprochen habe. 

Gesichtsmaske auftragen, Poren reinigen. Alles schwarz: die Reinigungscreme, die Zahnpasta, das Handtuch, der Schlafanzug. Ein Tick, eine Einbildung, eine Exaltiertheit, die ich mir leiste. „Until things are brighter, I´m the Man in Black“, sang Johnny Cash, ziemlich verbohrt sich diesen Satz als Vorsatz zu nehmen. Aber wie andere Sätze blinken sie in mir auf, wahrscheinlich als Leuchtturm. Ich hab soviel von Songs gelernt, ich habe soviel von Lyrics gelernt, von Gedichten und Büchern. Ich habe von Menschen gelernt, was es heißt, Mensch zu sein. I feel the connection with your imperfection. Und auch vom Leben, habe ich gelernt. Aber es hat mich müde gemacht, deswegen gehe ich jetzt schlafen. Und bei meinem täglichen letzten Blick aus dem Fenster, lerne ich vor allem Demut, wenn der Mond mir so hell entgegenstrahlt, und denke nicht daran, das dies auch nur falsche Romantik sein könnte.