menschen treffend: sabine

Da war durchaus Stolz – und Entschlossenheit – als Sabine in die Partei eintrat, nachdem sie die Partei irgendwie immer schon am sympathischsten fand und die kommunizierten Ziele der Partei erstens zeitgemäß und zweitens sehr integer. Heute vermeidet sie zu erwähnen, dass sie tatsächlich Parteimitglied ist – Sabine weiß selber nicht, wie lange noch.

Während sie gerade für eine der Verantwortlichen in der Partei klatscht und lächelt, denkt sie innerlich eher daran, jetzt gleich die Bühne zu stürmen und zu schreien, dass ihre Partei, seit sie in der Regierung ist, nichts Anderes gemacht hat, als Schritt für Schritt so ziemlich all ihre Ideale zu verraten. Sie schaut sich um, wahrscheinlich geht es anderen gerade ähnlich, die nur sehr unmotiviert in ihre Hände klatschen oder irgendwas in ihr Handy tippen. Warum springt niemand auf? Manche quatschen mit ihren SitznachbarInnen, andere schauen gelangweilt als die nächste Rednerin zum Pult geht. Sogar Leute, die auf der Seite am Podium sitzen, wirken desillusioniert und antriebslos und in manchen Momenten abgestoßen, von der Partei oder auch von sich. Das nennt man dann wohl Realpolitik, worin alle in diesem Raum angekommen sind. 

Letztlich läuft es in Sabines Partei gleich wie in allen Parteien. Klare Strukturen, vielleicht mit Verantwortlichen, die etwas öfters nachfragen, ob alles okay ist, aber dann auch so entscheiden, wie sie es für richtig empfinden. Und dann gibt es Parteitage, die vielleicht tatsächlich anders laufen, wie bei anderen Parteien, aber auch dort wird die Euphorie geschürt und auf einen Kurs eingeschworen, sodass man letztlich etwas hirngewaschen für die Parteilinie stimmt. Parteilinie ist immer, was der Partei nützt, also in Verantwortung zu sein, egal ob im Gemeinderat, Landesregierungen oder im Parlament, weiters: im Parlament zu bleiben, vielleicht sogar in der Regierung. Also geht es um Macht und Machterhalt, Ausbau der Macht und so der Möglichkeiten. Und das ist eben ein zweischneidiges Schwert, ein äußerst scharfes. Denn natürlich muss man in Verantwortung sein, um tatsächlich etwas zu verändern und das geht demokratisch eben nur, wenn man auch tatsächlich politische Macht und so Handlungsspielraum hat, aber es geht eben auch nur mit Kompromissen und als in Relation eher kleine Partei mit überschaubarer Wahrscheinlichkeit, dass sich dies in diesem Land jemals ändern wird, muss man eben große Kompromisse eingehen und vieles mittragen, was eigentlich untragbar ist. 

Man muss Zugeständnisse machen, diesen Satz kann Sabine nicht mehr hören, es gehe hier nunmal um etwas Größeres und wenn das nicht wir machen, steht sofort eine andere Partei parat, die noch viel mehr, die noch unredlicher, die sicher nicht so korrekt wären. 

Sabine denkt daran, dass die letzte Vorsitzende zu einem Glücksspielkonzern gewechselt ist, bevor dieser in den letzten Jahren im Mittelpunkt eines Korruptionsskandals stand. Das war entweder ein großer ausgestreckter Mittelfinger der Vorsitzenden ihrer Partei gegenüber, der noch deutlicher nur gewesen wäre, wenn sie bei einem Ölkonzern angeheuert hätte, oder es war schlichtweg eine opportunity, die sich im Laufe ihrer politischen Laufgang zufällig ergab, obwohl die Partei damals noch in Opposition war. Tja, wer weiß, vieles bekommt man an der Basis einfach nicht so mit. Aber man bekommt mit, dass man jetzt nicht nur von WählerInnen der anderen Parteien schief angeschaut und beschimpft wird, sondern durchaus auch von den bisherigen oder potentiellen WählerInnen der eigenen Partei. Die Stimmungslage, würde Sabine mal ganz basic feststellen, ist beschissen, wenn sie sich umsieht, wenn sie sich umhört. Das könnte bei der nächsten Wahl wieder einige Stimmen kosten. Eine der prominenteren Parteimitglieder hat erst letzte Woche ihre Mitgliedschaft – aus Gründen – zurückgelegt, andere äußern sich lautstark kritisch, gerne auch medial. 

Obwohl Sabine fest an die Zukunft ihrer Partei glaubt, weil sie wohl die einzige ist, die sich ernsthaft dem Umwelt- und Klima- und Tierschutz widmet, dazu noch den Menschen- und Frauenrechten und der Gleichberechtigung gesamtgesellschaftlich, also Themen, die nicht nur in der Gegenwart sondern auch für die Zukunft wichtig sind, gibt es nunmal auch bei ihr die Zweifel, wie man das alles so im System umsetzen soll. Oftmals musste die Partei in Regierungsverantwortung nun schon für Tierleid, gegen Gleichberechtigung, gegen Umweltschutz und vor allem gegen einen humanen Umgang mit Schutzsuchenden mitverantwortlich entscheiden. 

Die durchaus erfolgreichen Anfänge hatte ihre Partei ja außerhalb des Systems. Die Partei-SeniorInnen von heute waren teilweise mal engagierte DemonstrantInnen, die durchaus auch eine gewisse Radikalität ausstrahlten – dann wurden sie bürgerlich und waren nur noch daran zu erkennen, dass sie oft mit dem Fahrrad statt mit dem Auto fuhren, dass sie sich am Wochenende gerne in Trommelseminare verirrten, außergewöhnliches Getreide verkochten, dass sie natürlich Bio einkauften, bevor es trendy war. Das ist etwas polemisch, wie Sabine weiß, aber im wahren Kern noch so ein Ding, dass Sabine mittlerweile auf die Nerven geht, denn wer kann es sich – scheiße nochmal! – leisten, seine ganze Ernährung biologisch und fair getradet und sein Leben generell nachhaltig zu gestalten. Sabine nicht, noch nicht, und das macht ihr natürlich auch ein wirklich schlechtes Gewissen. Was sie nicht haben müsste, weil niemand außer ihr selbst ihr ein schlechtes Gewissen macht, aber weil sie in der Partei ist, hat sie es nunmal doch, weil sie in dieser speziellen Partei ist und … wahrscheinlich gibt es gar keine Lösung dafür. 

Sabine hat sich dabei erwischt, wie sie einfach Karton und Pet-Flaschen in den Hausmüll geworfen hat, als eine Form des Protests (gegen einen überkorrekten Lebensstil), allerdings einer, den niemand mitbekommt. Zugegeben plagte Sabine sofort, genau, das schlechte Gewissen und sie hat natürlich alles wieder aus dem Restmüll rausgefischt und in die korrekten Säcke und Tonnen gegeben. 

Scheiß Partei!, denkt sich Sabine, Scheiß Partei wie jede Partei! Was aber so auch nicht stimmt, wenn sie sich erlaubt, unemotional darüber nachzudenken. Und dann grübelt Sabine vor sich hin, dass sie vor dem gleichen beschissenen Problem in der Partei steht, vor dem die Partei in der Regierung steht. Lässt man die Regierungskoalition fallen, lässt man damit auch sämtliches Mitbestimmungsrecht und die Chance zur Veränderung fallen. Es ändert sich letztlich an der gesellschaftlichen Gesamtsituation nichts, irgendwie geht es weiter, wahrscheinlich noch schlechter, denn selbst den kleinsten Einfluss hätte man verwirkt. Dann hilft wirklich nur noch protestieren…. geringfügig. Steigt Sabine nun aus der Partei aus, ändert das auch nichts, es geht weiter, nur Sabine hätte die Chance verwirkt (zumindest im kleinen) etwas zu einer, in ihren Augen, guten Veränderung beizutragen. Scheiß Dilemma. Scheiß Politik.