menschen treffen: uwe

Manchmal ist man froh, jemanden nicht getroffen zu haben oder zumindest nicht zu einem gewissen Zeitpunkt auf diesen jemand getroffen zu haben. Uwe zum Beispiel. Uwe zum Beispiel, wenn er betrunken ist, wenn er schon lange und vielleicht zu lange in einem Lokal gewesen ist und zuviel Gelegenheit hatte, sich anzutrinken. Meist zeigen sich dabei nicht die schönsten Eigenschaften von Menschen. Alkohol macht auf vielerlei Arten hässlich. 
Und es beginnt immer mit einer ersten Bestellung, einem ersten Schluck, Unterhaltungen, die langsam anlaufen um sich dann immer wieder mehr verlaufen, zunehmend, mit Bestellungen und Gläsern.
Es gibt mehrere Erzählungen davon, was an jenem Abend, an dem man Uwe nicht begegnen wollte, in einem bestimmten, in gewissen Kreisen überaus beliebten Nachtlokal passiert war. 
Auf was sich alle einigen können, ist, dass viel herumgeschrien wurde, dass am Ende einer Auseinandersetzung Wein verschüttet und ein Glas zu Bruch gegangen war. Die Streitparteien tun nichts zur Sache, weil sie selbst nur äußerst subjektiv über den Vorgang zu berichten imstande sind, vor allem verfälscht durch den Zustand der Rage, angefeuert durch den Umstand der Trunkenheit. 
Zwei, drei oder gar vier oder fünf Personen seien in Streit geraten, insbesondere aber eine jüngere Frau habe sich sehr untergriffig über Uwe geäußert. Uwe habe sich herabgewürdigt gesehen, alles habe sich immer weiter aufgeschaukelt, dann wieder beruhigt, dann sei wieder – ganz plötzlich – die Stimmung explodiert, die Aggression sei größer, die Angriffe immer niveauloser geworden, dann wieder die Einigung sich ohnehin nichts zu sagen zu haben. Aber wenn die Ehre erstmal verletzt, wenn diese angekratzt, wenn die Herabwürdigung so im Raum immer noch in der Luft liegt, dann kann das ein Mann nicht auf sich sitzenlassen, wenn die Macht, wenn der Status und vielleicht auch zu schmelzen droht.  Man kennt das: Verletzter Stolz und plötzlich rasten immer wieder Männer aus. Eine seltsame Eigenart von Männern, die im schlimmsten Fall auch zu Morden führt, 2022 gab es in Österreich 28 Femizide. Die Erklärung, dass Männer einfach rauer mit der Welt umgehen oder es ihnen einfach an Intellekt fehlt, gilt nicht. 
Nur wenige Minuten später habe Uwe dann sein Glas Wein über der jungen Frau ausgeschüttet und diese damit nicht nur beschmutzt sondern auch – sozusagen als Ausgleich – herabgewürdigt, im Glauben mit dieser Handlung ein starkes Zeichen gesetzt zu haben. Damit hätte sogleich eine Handgreiflichkeit folgen können, zu dieser sei es aber nicht gekommen, weil die Lächerlichkeit dieser Tat nach dem leeren Wortgefecht dann doch überwog. Auf dieses Niveau wolle man sich nicht herablassen, habe es geheißen. Es wären also nur weitere unschöne Worte hin- und hergeflogen, wie zwei Krähen, die sich gegenseitig ein Auge aushacken wollten. Uwe habe sich aber nicht beruhigen lassen, während die junge Frau, sicher nicht nüchtern, im Gegenteil immer gelassener geworden sei, was Uwe noch rasender gemacht habe, weswegen Uwe dann nicht mehr nur Worte durch die Luft schleuderte, sondern er habe hinterhältigst ein Glas durch das halbe Lokal geschmissen, das die Glasvitrine gerade noch verfehlt, die junge Frau aber doch zumindest gestreift habe. Oder hat sie es doch mit voller Wucht abbekommen? Die junge Frau habe auf jeden Fall den Aufprall gespürt und habe – nicht gleich aber am nächsten Morgen – einen großen blauen Fleck vorzuweisen gehabt. Als Fakten seien aber zuerst mal die Glasscherben auf dem Boden gelegen, die dann von der Kellnerin sogleich weggewischt wurden, damit sich niemand daran verletzen konnte. Die Besitzerin des Lokals habe ihr Wort erhoben und ausgesprochen, dass sie sowas in ihrem Lokal nicht dulde, dass sowas sogleich ein Lokalverbot nach sich ziehe. Die junge Frau sei einsichtig gewesen, Uwe in dem Moment ebenso. Nur am nächsten Tag habe die junge Frau dann nun tatsächlich ganz nüchtern, den Schmerz spürend, über alles nachgedacht und habe den körperlichen Angriff dann doch mit anderen Augen gesehen. Sowas mache man nicht, ein körperlicher Angriff, ein Übergriff würde zu weit gehen. Auch wenn die junge Frau angeblich auch oft nicht zimperlich sei und es schon wiederholt mit Männern aufgenommen habe, die davon ihre Blessuren davongetragen hätten. Vielleicht ist diese Erzählung aber auch nur die Gestaltung eines Mythos, wie man ihn sich in den Nächten in alkoholgeschwängerten Bars weitererzählt.
Grundsätzlich kann man feststellen: Auch wenn die gute alte Tradition sich gegenseitig in die Fresse zu schlagen, wenn man sich nicht mag, als eine Art Kulturgut, das auszustreben droht, betrachtet werden könnte, eine wirklich dumme andererseits aber auch sehr ehrliche Art der Ausseinandersetzung, ist sie wahrscheinlich verzichtbar im Umgang miteinander. 
Uwe erinnere sich übrigens ganz anders an den Vorfall, deswegen habe sich Uwe auch nicht entschuldigt, gar nicht entschuldigen können, denn: für was? Er habe ja nichts getan, nichts Schlimmes, es sei höchstens ein Unfall gewesen und überhaupt: Er sei provoziert worden, da rutsche einem schonmal ein Glas aus der Hand, als Folge einer Art Empörung.
So habe es für Beide keine Konsequenzen gehabt, die Schmerzen der jungen Frau seien aushaltbar gewesen und wären bald wieder zu vergessen gewesen, man müsse ja nicht übertreiben. Manche glauben, sie habe überhaupt nur simuliert und der blaue Fleck sei aufgeschminkt oder stamme von einem anderen Unfall, der nur zufälligerweise zeitlich mit dem Glaswurf zusammenhänge. Die Behauptung des Geschehens wie es geschehen sein, diene eigentlich nur der Rufschädigung. Diese Unterstellung schmerzt die junge Frau jedoch. Denn jetzt könnte man einwenden: Wird sowas nicht ständig Frauen vorgeworfen, wenn sie auf eine Gewalttat hinweisen? 
Jajajajaja. Die Frage stehe im Raum, ob das alles so stimme, die Frage bleibt, was denn nun wirklich stimme, wer denn recht habe, wenn überhaupt jemand recht haben könne. Man wisse es nicht genau, nichts wisse man eigentlich und glauben könne man alles, wenn man will. 
Es habe Wochen später eine Aussprache gegeben, auch darüber wisse man nichts Genaues. Man habe vereinbart, ab sofort Stillschweigen über das Vorkommnis zu bewahren. Uwe würde sowas niemals wieder machen und es tue ihm vielleicht doch leid. Was überhaupt? Man würde jetzt nicht mehr darüber sprechen.