menschen treffend: markus

Zufrieden blickt Markus aus dem Fenster. Vor zehn Minuten hat sein Wecker geklingelt, vor fünf Minuten hat er den Kaffee aufgestellt und trinkt jetzt schon den ersten Schluck. Es ist bereits hell, die Sonne scheint durch das große Fenster zum Garten, und Markus lehnt sich in seinem Holzstuhl zurück. Eigentlich könnte Markus jeden Tag ausschlafen, hat er sich in den letzten Jahren doch den Status erarbeitet, dann tätig zu sein, wann er will, aber er will einfach ständig. Getrieben nicht nur von „Nutze den Tag“ sondern „Nutze jede Gelegenheit“. Er lebt noch nicht lange in dieser Idylle, mitten in der Stadt, mit seinem Garten und dem leeren Haus, das ihm die Besitzer, die ihre Wohnung im Erdgeschoss fast nie nutzen, überlassen, in der Wohnung, die ihm sein Vormieter mit all der Einrichtung übergeben hat, weil dieser Vormieter nach der gescheiterten Ehe und der Scheidung die Ausstattung nicht mit in seine neue, sehr kleine Wohnung nehmen wollte oder konnte und Markus sie sehr bereitwillig übernahm. Dafür musste Markus nichts zahlen, quasi alles ein Schnäppchen. Eigentlich sollten sein Sofa, seine Stühle, sein Bücherregal und all seine anderen Möbelstücke noch die Atmosphäre der Vorbesitzer versprühen (vielleicht auch ein Übermaß an negativer Energie), aber Markus hat es sich so richtig gemütlich gemacht. Alles von ihm eingenommen, als ob es schon lange, immer schon in seinem Besitz wäre, als ob selbst der Fleck an der Wand von Markus mit seiner eigenen Geschichte begründbar wäre, wahrscheinlich hat er auch tatsächlich schon eine gute Erklärung dafür. Markus hat seit dem Einzug kein einziges Mal daran gedacht, neu auszumalen. Es passte alles exakt so, passte für ihn. Lange Zeit verbrauchte er auch noch das Spül- und Waschmittel, die Putzmittel. Die schönen Handtücher, die seine Vormieter zur Hochzeit bekommen haben, benutzt er allerdings als Putzfetzen. 

Markus trinkt seinen Kaffee und streichelt seinen Massivholztisch, seinen Laptop hat er noch nicht aufgeklappt, dafür braucht er noch ein paar Momente um ganz wach zu sein, so aufgeweckt wie die Fliegen vor seinem Fenster. 

Einleben, sich ganz und gar einleben, Einnehmen, das Übernehmen ist Markus´ spezielle Eigenschaft. Wie er in seiner Second Hand-Jogginghose und seinem Second Hand-Pullover dasitzt, aus der ihm überlassenen Tasse trinkt, seine nackten Füße in den abgenutzten Wollteppich gräbt, würde man nicht vermuten, dass all das mal einen anderen Besitzer hatte. Was Markus berührt, scheint durch den Kontakt mit ihm wieder einen neuen Glanz zu bekommen. Schwer nachvollziehbar. Es wird der Kontext sein, Markus setzt ebensoviel Kontexte wie er Konzepte schreibt. Darin besteht seine Hauptaufgabe, seine Beschäftigung, oder wie auch immer man das nennen möchte, denn das Verfassen von Einreichunterlagen für Unterstützungen bei diversen Fonds und Wirtschaftsförderstellen und Papers, die er Leuten im persönlichen Gespräch in die Hand drückt, ist nichts, was man als üblichen Job sehen kann. Ein Formulierungsbusiness, ein Fabulierungsbusiness, ein ständiges Start-Up. Markus stellt nichts her, er stellt dar und damit macht er sein Geld. Laufend neues Geld, neue Geldflüsse, für Scheinprojekte, die kaum angekündigt auch schon erledigt sind und zwar so, dass sie nach außen tatsächlich finalisiert wirken, und schon weiterverkauft sind. Ein Kunststück, was Markus hier immer wieder aufführt, man könnte es eine subversive  Vorgehensweise nennen oder auch einfach dreist, knapp am Rand zum Verbrechen. Sein Produkt ist letztlich er selbst, ein gepflegtes Produkt im shabby look, ein ausstrahlendes Produkt, spätestens wenn er seine Wohnung verlässt, um zu einem Termin zu eilen. 

Er lebt mitunter davon den Markt genau zu beobachten, Tendenzen, die erkennbar sind, zu spüren und dann im richtigen Moment zuzugreifen und zu übernehmen und dem Begriffenen eine Aufwertung zukommen zu lassen. Schwer erklärbar, wie er das genau macht, aber das ist vielleicht sein Geheimnis. Fast wie ein Raubtier stürzt er sich in Unternehmungen, mit aller Kraftanstrengung und Konzentration, konkret mit Networking, zahlreichen Gesprächen und ständigen Telefonaten, dabei überrumpelt er in den für ihn günstigen Momenten die Schwachstellen in Systemen, respektive:  er nützt sie aus. Markus als der Inbegriff eines guten Beobachters, der nur auf den richtigen Zeitpunkt wartet. Und wer kann ihm schon verdenken, dass er so listig ist. Steht ja jedem offen, ähnliches zu versuchen. Wenn man ihn fragt, was er zur Zeit so treibt, ist die Antwort immer, dass es Projekte wären (immer die Mehrzahl, immer zahlreiche gleichzeitig), die ihn beschäftigt halten. 

Das Geheimnis hierbei ist,, immer sofort zu delegieren, immer über anderen schweben, und von dieser Position aus dann all das anzuschaffen, was konkret zu machen ist, natürlich immer unter seiner Aufsicht. Markus arbeitet nicht, es ist mehr ein Vergnügen, er lässt arbeiten, es ist vielmehr ein Dirigieren, wie ein begabter Musiker mit empfindlichen Händen. Markus fuchtelt tatsächlich oft in der Luft herum. Frischluft, denkt Markus, auf seinem Holzstuhl sitzend, Wo war ich?, denkt er sich, Achja, Kaffee.

Durch das große Fenster zum Garten und Hof hat er die Vögel im Blick, wie sie zwischen den Apfel- und Birnenbäumen wechseln, mit der leichten Sorge, dass sie ihm eventuell die Ernte streitig machen könnten. Mit der Macht seiner Gedanken versucht er die fliegenden Geschöpfe zu beeinflussen und denkt für Momente, dass es tatsächlich klappt. 9:36, er versucht einen ersten Anruf, erreicht noch niemanden, was ihn etwas ärgert. Also wird sein Laptop aufgeklappt und seine, Nein, eine erste Email geschrieben, wie immer beschränkt er sich dabei nicht auf ein paar Zeilen, sondern arbeitet auf eine Lesezeit von mindestens fünf Minuten und eine Verständniszeit von 10 Minuten hin, die allen Beteiligten eine gewisse Konzentration abringt und diese vielleicht auch verwirrt, weil man bei Markus auch immer zwischen den Zeilen lesen muss.  Er schickt sie ab. Von nun an wird er den ganzen Vormittag damit verbringen auf den Bildschirm zu starren, in Erwartung von Antwortmails. Und wenn diese dann kommen, wird er tatsächlich glauben, er habe mit der Kraft seiner Gedanken die Reaktionen hervorgerufen. Und dann kommt auch der Rückruf.