menschen treffend : mascha

Der Wecker klingelt um 5:55, Vogelgezwitscher, wird direkt auf Snooze geschaltet, um 6:05 als nerviger Ton und geht wieder direkt auf Snooze, und um 6:15 mit dem Lied „Guten Morgen Sonnenschein“, nervt auch, aber das ist auch der Sinn. Dann heißt es wirklich aufstehen, langsam Anziehsachen zusammensuchen, schnell ins Bad, bevor jemand anderer aus der Familie das Bad blockiert, denn für die nächsten 20 Minuten gehört das Badezimmer nur Mascha. Für alle vor der Türe bleibt es dann ein Mysterium, was hinter ihr passiert, ist allerdings auch nicht aufregend. Mascha braucht ihre gewohnte Morgenroutine: Duschen – Zähneputzen – Deo – und am längsten brauchen die Haare. Nein, sie schminkt sich noch nicht.

Mascha ist vor zwei Wochen 13 Jahre alt geworden, nunmehr ein Teenager also, seit dem Tag starren alle Erwachsenen in ihrer Umgebung sie an, in Erwartung, Mascha würde jetzt ganz schwierig werden. Mascha fühlt sich wie immer, vielleicht ist momentan in ihrem Leben etwas mehr los als noch vor ein paar Jahren, aber das hat ganz einfach damit zu tun, dass sie konkretere Interessen hat.

6:45 verlässt sie das Haus, bekommt von ihrem verschlafenen Vater, der gerade seinen ersten Kaffee trinkt noch eine Jausenbox in die Hand gedrückt. Der Bus kommt um 6:55, zweimal umsteigen und um 7:30 ist sie in ihrer Schule, wo sie noch etwas Zeit hat, schnell Hausübungen abzuschreiben oder ein paar Worte mit ihren Freundinnen zu wechseln. Die Schulglocke leitet den Schultag um 7:45 ein, gleich in der ersten Stunde steht heute ein Geografie-Test an, Mascha gähnt auffallend oft, nicht nur, weil sie gestern noch lange gelernt hat, sondern einfach, weil das Thema (Großräume, irgendwas mit Bergen und Landschaften) sie langweilt.

Jeden Wochentag von Null auf Hundert in eineinhalb Stunden, kein Wunder, dass sie am Wochenende meistens bis Mittag schläft.

In der zweiten Stunde folgt Englisch (nette Professorin, geht immer schnell vorbei), dann Pause – heute nur das Brot aus der Jausenbox, nicht der Müsliriegel -, danach Mathematik (Mascha schreibt mit, versteht aber nichts), gefolgt von Deutsch. Die Deutsch-Professorin erzählt etwas von Zeitungsartikeln und den Aufbau von Zeitungsmeldungen, absolut langweilig und teilweise auch einfach falsch, wie Maschas Vater schon bei der letzten Hausübung feststellen musste. Kein Wunder, denn die Deutsch-Professorin interessiert sich mehr für Gucci-Handtaschen als für die Vermittlung von Wissen, wie sie selbst schon zugegeben hat. Masche driftet wieder mal ab, verfolgt das Geschehen in der Klasse erst wieder als ein Klassenbucheintrag angedroht wird, Ben bestand darauf auf die Toilette gehen zu dürfen und hatte dabei einen Kaugummi im Mund, ein Streitgespräch ist im Gange, dass wohl die letzten zehn Minuten der Schulstunde schlucken wird. Tatsächlich, die Schulglocke läutet das Ende der Stunde ein, der Klassenbucheintrag ist passiert oder auch nicht, wie so oft, und die Deutsch-Professorin tätigt erneut den Ausspruch, dass sie die Klasse am liebsten abgeben würde, was allerdings nicht passiert, obwohl es sich alle SchülerInnen wünschen.

Nächste und letzte Stunde: Religion. Die Klassengemeinschaft splittet sich auf in Katholische (dürfen in der Klasse bleiben), Evangelische (müssen in einen Nebenraum wechseln) und dann gibt es noch Ajda, die eigentlich Muslimin ist, aber genauso wie Mascha und Valentin Freistunde hat, weil Ajdas Vater nicht soviel vom Religionsunterricht in der Schule hält. Was Valentin genau ist oder nicht ist, hat Mascha ihn nie gefragt, sie ist auf jeden Fall „OB“, also ohne Bekenntnis, was sowohl als Abkürzung wie auch ausgesprochen seltsam klingt. In letzter Zeit gab es in ihrer Schule eine Diskussion über das Holz-Kreuz in den Klassenräumen, Mascha war es eigentlich egal, aber wenn sie so genau darüber nachdachte, war sie doch der Meinung, dass es eigentlich nicht verpflichtend dort hängen sollte – oder wenn, dann könnte man auch diverse andere Symbole aufhängen. Die Diskussion drehte sich ja eigentlich um etwas Anderes, nämlich ein politisch angestrebtes Kopftuchverbot, dass übrigens Ajda aus Protest – und modischen Gründen – nun manchmal ein Kopftuch tragen lässt, vor allem, wenn es kalt ist.

Nachdem Mascha an Freitagen nach der vierten Stunde offiziell schulfrei hat, beginnt für sie das Wochenende. Wobei sie seit einem halben Jahr nach der Schule noch einen weiteren Pflichttermin für sich gefunden hat: Sie ist eine von dreissig jungen Menschen zwischen 11 und 18, die an Freitagen mit ihren Schildern am Hauptplatz ihrer Stadt stehen und protestieren, gegen den Raubbau an unserem Planeten und dass der Klimawandel ernstgenommen wird. Schulstreik fürs Klima! Streng genommen streikt Mascha nicht, sie hat schließlich schon frei, aber darum geht es ja eigentlich auch nicht. Es geht um Solidarität, es geht um den Willen etwas zu bewegen, es muss sich was ändern. Mascha macht sich wirklich Sorgen, vor allem seit sie ungefähr das Ausmaß der Katastrophe begriffen hat, und dabei ist sie wahrscheinlich nur über einen Bruchteil informiert, was gerade auf der Welt falsch läuft. Dagegen will Mascha was machen und bemüht sich selbst auch die Veränderung zu leben, die sie einfordert. Mascha hat aufgehört, Fleisch zu essen, benutzt prinzipiell keine Strohhalme mehr, kauft keine PET-Flaschen mehr sondern hat jetzt immer ihre Glastrinkflasche dabei, sie versucht soviel wie möglich wiederzuverwerten und fährt jetzt lieber mit dem Fahrrad oder geht zu Fuß als sich von ihrer Mutter mit dem Auto herumfahren zu lassen. Das sind alles Kleinigkeiten, aber irgendwo muss man ja anfangen. Dass sie trotzdem ihre Kleidung in den großen Modeketten kauft, die billigst und massenhaft in Bangladesch unter schlechten Bedingungen hergestellt werden, ihr Smartphone liebt genauso wie Avocados zu jeder Jahreszeit ist problematisch, das ist ihr bewusst, aber gerade deswegen möchte sie auch das noch ändern.

Vielleicht ist sie zu oft auf Instagram, ganz sicher wischt sie sich dort durch eine Timeline, die von künstlichen Hypes durchzogen ist, aber Freitag Mittag steht sie am Hauptplatz mit ihrem selbstgebastelten Schild, für ein besseres Klima auf der Welt, für ihre und unser aller Zukunft.

Und nachdem die Demonstration beendet ist, geht sie mit ihren Freundinnen noch zu Mc Donalds, trinkt einen Orangensaft und isst einen Muffin, ihr ist klar, dass sie damit vermeidbaren Müll produziert und dass sie zurecht dafür kritisiert werden kann, aber auch das Treffen beim „Mäci“ ist für Mascha sowas wie ein Highlight der Woche zwischen Schulstress, Lernen und Hausaufgaben – und außerdem macht sie es immer seltener.