menschen treffend: tom

„Hallo, Hallo, Heyho“ spricht Tom beschwingt in die Kamera ( € 1.298,-), die auf einem Stativ (€ 99,-) mit verdrehbaren, krakenartigen Armen ein Ringlicht (€ 68,-), neben einem Mikrofon (€ 298,-) vor seinem Schreibtisch (Vintage, Ikea) befestigt ist. Es ist Zeit wieder ein Video zu machen, Content zu generieren, seinen Followern wieder Material zu liefern. Der Dreh ist noch das Einfachste, schnell gemacht (Eine routinierte Stunde inklusive Einrichtung und Pausen), etwas länger dauert dann der Schnitt, der schon sehr exakt sein muss, Signation hinzufügen, rausrendern, hochladen und dann die Verlinkung der Sponsoren und natürlich die Beschreibung copypasten, die er schon vorbereitet hat. Letzlich vergehen damit Stunden, regelmäßig, also alle paar Tage, denn schließlich muss er irgendwie ständig was abliefern. Das ist schon auch ein Druck, Teaser posten, damit die Leute dranbleiben, zwischendurch seine Timeline durchscrollen, zurückkommentieren, Kommentare liken. Das geht auch zwischendurch, neben dem Frühstück, beim Warten in Wartezimmern, ständig. Wenn Tom wartet, dann hat er sein Handy in der Hand und arbeitet eigentlich, während andere nur anstehen oder ein Game zum Zeitvertreib spielen. 
In guten Monaten sind es um die 900 Euro, die er mit dieser Arbeit verdient, es gab auch schon Monate in denen es mehr und welche in denen es weniger waren. Läuft stabil, würde Tom sagen, sagt er auch, wenn man ihn fragt, und „Heyho, was geht?!“
Zum liken, zum herzen, zum kommentieren, zum reposten – dafür macht Tom seinen Content. Und sein Content ist Technik, also die neuestes Technik am Markt, die er vor der Kamera auspackt, in die Kamera hält und dann ausführlich reviewed. Damit geht er auch seiner Leidenschaft nach, denn seit er denken kann, ist er fasziniert von technischen Geräten, umso mehr, seit die Entwicklungen immer schneller und beeindruckender vor sich gehen.
Ja, damit kann man Geld verdienen. Regelmäßig bekommt Tom verwunderte Reaktionen, wenn er preisgibt, wie er sein Leben bezahlt – beziehungsweise all die Dinge, die er sich leistet. Aber es gibt weitaus abstrusere Inhalte, mit denen man sein Einkommen bestreiten kann. Menschen leben davon Sachen zu verkaufen, die es gar nicht gibt. Man stelle sich mal vor, man würde als Wunderheiler oder Pfarrer seinen Lebensunterhalt bestreiten. Leute verarschen und dafür auch noch ein asketisches Leben in Kauf nehmen, das wär nichts für Tom. Dann doch lieber diese ganze Technik, die zumindest für eine gewisse Zeit up to date ist, mitverkaufen, Spielzeuge, die, wenn auch nicht immer ausgereift, doch irgendwie geil sind. 
Sieht von außen nicht wie Arbeit aus, aber letztlich ist es harte Arbeit, unter dem ständigen Druck seine Follower zu halten, die Klickzahlen zu halten, weiter von den Unternehmen wahrgenommen, als Tester in Programme aufgenommen und als Influencer ernstgenommen zu werden. Dahin hat er sich hochgearbeitet. Tom kann sich noch an die Zeit vor zwei Jahren erinnern, als er sich ständig die neuesten Smartphones gekauft und sich zeitweise auch verschuldet hat, aber gleichzeitig auch seinen Account auf youtube eröffnet hat, der nach einem Jahr so erfolgreich war, dass die Firmen auf ihn zukamen und ihm das ganze Spielzeug gratis geschickt haben. Ja, es ist verrückt. In seiner Wohnung stapeln sich Verpackungen und Technik, die eigentlich noch gar nicht alt ist, aber zu den neuesten Entwicklungen mittlerweile ganz schön alt aussieht. Manches muss er auch zurückschicken, anderes verkauft er auch. 
Aber wenn Tom auf diese dutzenden ansprechenden Schachteln schaut und die Post schon wieder neue Sachen bringt, dann gibt es den Moment, wo er auch eine Langeweile spürt, wo die Innovationen nicht mehr so großartig scheinen und er erschlagen oder gesättigt von dem ganzen Zeugs ist.  
Aber es macht natürlich schon auch Spaß und ist abwechslungsreich, also es könnte schlimmer sein, sagt Tom sich, denn so fühlt es sich für Tom auch an, etwas stressig, viel Druck, aber dann auch ganz viel fun und Freiheit. Das wollte Tom so oder so ähnlich immer schon haben, einen vierzig Stunden Job in engen Grenzen und exakten Dienstzeiten war für ihn nie vorstellbar. Tom kann sich also nicht beklagen, will er auch nicht. Alles gut, alles chillig. 
Und Tom bringt vor der Kamera natürlich immer das nötige Maß an Begeisterung auf, die alles weltbewegend erscheinen lässt. My reaction, sagt Tom am Ende, muss Tom sagen, denn das ist seine USP, und dann zeigt Tom den Daumen nach oben oder unten. Und darauf warten seine Follower, weil sie seine Meinung schätzen oder seine als eine von vielen schätzen. Und was er noch sagen muss, ist: „Aber zuerst mal einen großen Dank an den Sponsor dieser Folge. Non-toxic, nachhaltig und very reliable. Besser könnt ihr euer Phone nicht schützen.“ Das bringt ihm pro Wort ungefähr € 10,- und dafür, dass er auch immer wieder neue Clips macht, in denen er die Smartphone-Hülle von ****** in die Kamera hält, gibt es nochmal  € 150,- extra. „Und bevor wir uns jetzt ansehen, ob sich dieses Upgrade lohnt, lasst mir doch ein like da und abonniert meinen Kanal.“ Das Upgrade lohnt sich eigentlich immer, noch nie hat Tom irgendein Produkt, dass er in die Kamera gehalten hat, in schlechtem Licht präsentiert, also zuviel Negatives darüber gesagt, stets wirkte er gehypt. Nur einmal gab es ein Smartphone mit zwei Displays aber völlig veralteter Software und schlechten Kameras, das auch noch völlig überteuert war, das hat er dann allerdings schlichtweg nicht rezensiert und wieder zurück an den Hersteller bzw die Agentur geschickt, von der er bestückt wurde.  
Alles auf seinem Channel ist irgendwie ein Erfolg und super, muss es sein. Doch nichts von dem, was er in die Kamera hält, ist sein Produkt. Er ist das Produkt und er verkauft vor allem sich selbst. Als Marke. Und deren Kurs steigt noch immer, vielleicht kann er bald schon noch besser davon leben. 
Dass dies nicht ewig so weitergehen kann, ist auch Tom bewusst. Er hat sich fest vorgenommen, ab nächstem Jahr nun aber wirklich mit seinem Studium weiterzumachen. Nur im Moment fehlt ihm einfach die Zeit, es gilt doch immer was zu tun und als One-Man-Show kann er sich gerade auch nichts freischaufeln, nicht mal seine Freunde sieht er regelmäßig. Dafür wird er schon erkannt, trifft schon Fans auf der Straße, oder zumindest Leute, die ihn kennen und ansprechen. Meist bitten sie um ein Selfie und eine Verlinkung auf ihren Channel, die Meisten sind mittlerweile selbst Influencer.