menschen treffend: manuel

Auch das kann Karriere sein, wenn man mit Mitte Dreißig einen einfachen Job hat, wichtige Aufgaben und einen mindestens ebenso großen Verantwortungsbereich. Nachdem das mit der Schule nicht so klappen wollte, hatte Manuel sich lange mit kleinen Jobs über Wasser gehalten, Beschäftigungen, die er sich selber gesucht hatte, weil er wirklich ungern zum Arbeitsamt ging. Im Fitnesscenter hatte er dann Georg kennengelernt, der ihm eine Anstellung als Türsteher vermittelte. Lange Nächte mit viel Red Bull, aber wenig Stress und wenn die halbstarken Besoffenen doch mal auf Konfrontation aus waren, hatte er das relativ schnell dank seiner imposanten Erscheinung und seiner gleichzeitig ruhigen Art im Griff. Man schätzte ihn. Der Club, bei dem er arbeitete, musste leider irgendwann zusperren, warum, war ihm nicht ganz klar, eigentlich war es ihm nach drei Jahren an „der Tür“ aber auch egal, weil er mittlerweile eine Freundin, und mit ihr einen schon fast eineinhalb Jahre alten Sohn hatte. Ohnehin ergab sich sofort ein neues Angebot bei einer Sicherheitsfirma. Der Bedarf an Sicherheit war in den letzten Jahren gestiegen, in gewisser Weise auch bei Manuel. Die Sicherheitsfirma garantierte ihm eingeteilte Dienste, geregelte Arbeitszeiten, Anspruch auf Urlaub und vor allem, dass er nicht mehr nur in der Nacht arbeiten musste. Es war abwechslungsreich. Er bewachte Messen und Vergnügungsparks, Auf- und Abbauarbeiten, Eröffnungen und Ausstellungen, war bei privaten Partys wie auch offiziellen Veranstaltungen im Einsatz. Seine Arbeit dürfte er sehr zufriedenstellend verrichtet habe, denn eines Tages bekam er ein noch viel besseres Angebot. Er musste sich unter einer Telefonnummer melden, die ihm dann eine Adresse nannte, zu der er fahren sollte. Es war eine Villa am See. Seitdem in den letzten Jahren sämtliche wertvollen Seegrundstücke privatisiert wurden und es offensichtlich zum guten Ton von unfassbar reichen Leuten gehörte, sich eine Immobilie in allerbester Lage zu gönnen, gab es einfach auch den Bedarf diese Domizile gut zu schützen. Die Besitzer des beeindruckend weitläufigen Grundstücks am See, auf dem eine imposant große Villa stand, vertrauten ihm offensichtlich, das heißt, ihre Assistentin, denn die Besitzer hatte er bisher noch nicht getroffen. Er bekam den Job und ein Diensthandy, und aber keine neue Uniform, denn legeres, gepflegtes Auftreten reichte. 

Seine Aufgaben umfassten nicht viel mehr als in Abwesenheit der Besitzer auf die Liegenschaft aufzupassen, also zu gewissen Zeiten musste er anwesend sein, musste Gärtner oder Putzfrauen hinein- und auch wieder raus zu lassen, hatte zu überprüfen, ob alles in Ordnung ist, sicherzustellen, dass kein Unbefugter vonseiten der Strasse oder des Wassers das Grundstück betritt. Die meiste Zeit scrollte auf seinem Smartphone durch die Facebook-Timeline oder löste Rätselseiten der Zeitungen, oft saß er auch einfach nur da und blickte auf das Wasser. Bisher hatte es noch keine nennenswerten Vorfälle gegeben, nur einmal kam eine Gruppe mit ihrem Schlauchboot dem Grundstück zu nah und machte Fotos.  Das ist völlig inakzeptabel, muss doch die Privatsphäre auch dann geschützt bleiben, wenn niemand anwesend ist. 

Es war ihm verboten – außer in absoluten Ausnahmefällen – die Schlafzimmer der Besitzer zu betreten, Lebensmittel aus dem Kühlschrank in der Küche zu nehmen und es war ihm auch strengstens untersagt, über seinen Einsatzbereich zu sprechen und verständlicherweise durfte er keinesfalls Fotos machen. Manuel hielt sich daran, vor allem aber, weil er davon überzeugt war, dass versteckte Überwachungskameras installiert sind, dass auch er als Bewacher nochmal überwacht wird. Letzlich ist jeder ein potentielles Sicherheitsrisiko und man kann niemandem absolut vertrauen. 

Die Besitzer hatten offensichtlich mit der Angst zu tun. Klar, wenn man Wohnungen und Häuser an prominenter Stelle an mehreren Orten der Welt hat, ist das nicht nur ein Genuss sondern vor allem auch eine Belastung.

Manuel beneidete sie nicht. Dagegen waren seine Ängste überschaubar, dachte er, waren nie wirkliche Ängste sondern Sorgen, Geldsorgen meistens. Aber die Bezahlung stimmte aktuell, vor allem, wenn er daran dachte, wie unaufwendig die ihm übertragenen Aufgaben waren. Im Gehalt war ein Bonus für seine Diskretion schon eingerechnet, auch Überstunden würden extra bezahlt werden. 

Wieviele, wie er, in ähnlichen luxuriösen Häusern saßen und wachsam die Zeit totschlugen, wusste er nicht, schließlich durften sie, wie er, nicht über ihre Arbeitsplätze sprechen. Und sie warteten, wie er, insgeheim darauf, dass es doch einen Zwischenfall gäbe, die Alarmanlage endlich mal korrekt anschlagen würde, und sie zumindest das Pfefferspray auspacken könnten. Der Dank der Besitzer wäre ihnen sicher. 

Manuel denkt zur Zeit darüber nach, ob er nicht einen Einbruch erfinden sollte, den er im letzten Moment verhindern haben würde. Bei Einbruch der Dunkelheit wäre eine Bande von Kriminellen über die Mauer, Nein, mittels eines Motorboots aufs Grundstück gelangt, ausgestattet mit professionellem Werkzeug und der klaren Absicht durch eines der Fenster im ersten Stock ins Haus zu gelangen. Rechtzeitig hätte er sie erspäht, die Flutlichter und die Sirenen aktiviert und sie so in die Flucht geschlagen, danach habe er pflichtgemäß die Polizei informiert, die innerhalb von zehn Minuten eingetroffen wären, wobei er auch sogleich ein Tatwerkzeug sichergestellt gehabt hätte und der Polizei übergeben hätte können, und, Nein, aber die Fingerabdrücke ….

Verdammt, man könnte ihm Unachtsamkeit unterstellen oder an seiner Erscheinung zweifeln. Und außerdem gibt es ja noch die Kameras und wer weiß, welche Maßnahmen die Besitzer noch ergriffen hatten, um ihren Besitz zu schützen. Sein Plan ist noch nicht ausreichend durchdacht, das weiß er selbst, aber während Manuel aufs Wasser schaut, spielt er ihn immer und immer wieder durch, er will sich schließlich nicht langweilen.